Klettern ist die Hölle

So lautet der Titel eines Comicbuches von Tami Knight. Und so sehen das wohl auch viele Risikoprüfer*innen, wenn es um das Thema Berufsunfähigkeits-Versicherung und Klettern geht. Jedenfalls dann, wenn nicht nur in der Halle geklettert wird, sondern draußen an richtigen Felsen. Am besten noch in höheren Schwierigkeitsgraden, in größeren Höhen und außerhalb Europas, dann wird´s richtig lustig.
Oder auch nicht, wenn man als Kletter*in eine solche Versicherung abschließen möchte. Das geht dann oft nur mit einem höheren Beitrag oder einem Risikoausschluss. Das heißt: wenn beim Klettern was Schlimmes passiert, besteht kein Leistungsanspruch.
Ich selbst klettere seit über 30 Jahren, vorzugsweise am „richtigen“ Fels und mit ordentlich Luft unterm Hintern (gerne ein paar hundert Meter, herrliches Gefühl von Freiheit). Als lizenzierter Trainer B Alpinklettern leite ich seit 15 Jahren für den Deutschen Alpenverein, Sektion Ulm, Fels-Kletterkurse. Vom Anfängerkurs an bis zu 30 Meter hohen Felsen um Blaubeuren („Darf ich alle Griffe nehmen, es gibt ja keine unterschiedlichen Farben?“) bis hin zum Fortgeschrittenen-Kletterkurs an mehrere hundert Meter hohen Wänden in den Allgäuer Alpen (für Ortskundige: Wolfebnerspitzen; Stützpunkt für den einwöchigen Kurs ist die Hermann von Barth-Hütte).
Jetzt die schlechte Nachricht: So ganz unbegründet sind die Vorbehalte – oder wie man es sonst nennen möchte – der Versicherungsgesellschaften nicht. Klettern am richtigen Felsen, vor allem in sogenannten Mehrseillängen-Routen, ist nicht ganz gefahrlos. Zwar nicht so gefährlich wie Motorradfahren, aber eben auch nicht so ungefährlich wie z.B. Golfspielen (ich hoffe, ich trete jetzt keinem/keiner Golfer*in zu nahe…).
Zwei Beispiele hierzu: Ein befreundeter Kletterer wurde bei einer alpinen Klettertour von einem herabfallenden Stein – vermutlich ausgelöst von einer Seilschaft weiter oben – übel an der Hand getroffen. Komplizierter Bruch, die Hand ist seitdem nicht mehr voll funktionsfähig. Als Informatiker kann er weiter beruflich tätig sein. Als professioneller Klavierspieler, Handwerker oder Zahnarzt wäre er vermutlich berufsunfähig.
Aber auch in der Kletterhalle passieren schwere Unfälle: Ich war mit einem Kletterpartner in der Halle in Ottoeuren. Plötzlich das Geräusch, wenn etwas Schweres auf dem Hallenboden aufschlägt. Ich sofort wieder ´runter und mit meinem Kumpel um den Mittelpfeiler. Auf dem Boden lag ein junger Mann, mehrere andere Kletter`*innen waren und im herum, teils in heller Aufregung. Er wollte aufstehen („nix passiert“), aber seine Bekannten hielten ihn davon ab.
Was war passiert? Er sicherte seine Freundin, die im Vorstieg eine Route hochkletterte. Am 4. Haken rutschte sie wohl von einem Tritt ab und fiel runter. Normalerweise kein Problem, denn dazu ist man ja angeseilt und hat einen Sicherungspartner. In diesem Fall aber, wie mir später ein direkt danebenstehender Kletterer erzählte, machte der junge Mann wohl 3 Fehler: Er stand genau in der Falllinie (statt 1 bis 1,5 Meter seitlich versetzt), unterhielt sich mit seinem Nebenmann (statt seine Freundin im Auge zu haben), und dann war da auch noch zu viel Schlappseil.
Deshalb landete sie mit den Füßen voran genau auf seinem Kopf, er kippte sofort um. Innerhalb von 5 bis 10 Minuten waren Notarzt und Sanitäter da und lagerten ihn auf einer Vakuummatratze, damit die Wirbelsäule fixiert war. Ich half noch mit, die Trage mit ihm die Treppe hoch und zum Sanka draußen zu tragen.
Eine Woche später erfuhr ich von einem Bekannten, dessen Frau im Klinikum Memmingen arbeitet (dorthin wurde er eingeliefert), dass der junge Mann einer 7-stündigen Notoperation an der Halswirbelsäule unterzogen wurde. Mehrere Wirbel waren gebrochen, und er verdankte es mehreren glücklichen Umständen, dass er einer Querschnittslähmung ab dem Hals entging. Wäre seine Freundin etwas anders auf ihm „gelandet“ und hätte es damals im Klinikum Memmingen nicht einen auf Wirbelsäulen-Verletzungen spezialisierten Chirurgen gegeben – ich mag gar nicht daran denken. Ob er die Klinik letztlich ohne bleibenden Schaden verlassen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Beim Klettern jedenfalls habe ich ihn seither nie mehr gesehen.
Das soll heute mal genügen zum Thema, was so alles beim Klettern passieren kann. Ich will ja niemandem davon abbringen oder abhalten, schließlich ist es auch meine Leidenschaft. Aber in 30 Jahren bekommt man eben doch das eine oder andere mit, sei es am eigenen Leib oder bei anderen (einen richtig schweren Bergunfall hatte ich selbst noch nie, aber schon einige bei anderen miterlebt).
In weiteren Beiträgen werde ich deshalb auf die Gefahren des Bergsteigens im Allgemeinen und die des Kletterns im Speziellen etwas näher eingehen. Da gibt es überraschende Erkenntnisse: die größte Gefahr für Euch Kletternde seid Ihr selbst!
Und auch wenn man alles richtig macht, bleibt ein Restrisiko (wie fast überall im Leben). Das ist beim Bergsteigen leider höher als im Alltag, und deshalb werde ich sukzessive erläutern, welche Versicherungen für Bergsteiger*innen und Kletter*innen sinnvoll sind.
Zum Schluss des heutigen Blogs noch ein Hinweis aus dem anfangs erwähnten Buch von Tami Knight: Beim Klettern niemals ins Seil setzen! Sonst kommen nachts die Ethikmonster. Die pinkeln in Eure Chalkbags und stopfen nasses Katzenfutter in die Kletterschuhe 😉.
Passt gut auf in den Bergen und sonstwo,
Herzliche Grüße
Jürgen Puderbach
PS: Hier kann ein Online-Beratungstermin vereinbart werden